ed in: "Der Tagesspiegel"
23.12.2018, 14:05 Uhr
Wissenschaft und Forschung im Jahr 2018 Gentech-Babys und Neandertaler-Picassos
Richard Friebe Sascha Karberg Nicola Kuhn Florian Schumann Tilmann Warnecke
HILFREICH: Molekulartherapie im Mutterleib
Normale Kinder: Diese beiden von Holm Schneider und seinen Kollegen behandelten Zwillinge haben Haare und Zähne und können in der Sommerhitze draußen spielen. Ohne die Therapie im Mutterleib hätten sie: kaum Haare, nur wenige Zähne - und keine für die lebenswichtige Temperaturregulation notwendigen Schweißdrüsen.
Dass kranke Kinder schon vor ihrer Geburt behandelt werden können, ist nicht neu. Selbst Herzoperationen am Fötus sind möglich. Erlanger Kinderärzte haben mit einer Methode, die sie schon vor etwa drei Jahren anwandten, jetzt aber erst publik machen konnten, allerdings noch einmal komplettes Neuland betreten und damit erstmals überhaupt eine spezielle, sonst unbehandelbare Krankheit therapiert: Holm Scheider und seine Kollegen spritzten ein an einen Antikörper gekoppeltes Protein in das Fruchtwasser zweier schwangerer Frauen. Der Nachwuchs hatte die Veranlagung zur Erbkrankheit „Ektodermaler Dysplasie“, bei der Betroffene keine Schweißdrüsen und nur wenige Zähne und Haare entwickeln.
Die Föten, darunter ein Zwillingspaar, tranken mit dem Fruchtwasser die injizierten Moleküle. Ihr Darm schleuste sie, weil er bei Ungeborenen durchlässig für Antikörper ist, in die Blutbahn ein. Das Protein übernahm daraufhin die Aufgabe, die Ausbildung von Zahn-, Haar- und Schweißdrüsenanlagen anzuschieben. Alle drei so behandelten Föten wurden zu Kindern, die ausreichend oder sogar normal den bei Hitze lebenswichtigen Schweiß produzieren können. Eine größere Studie mit etwa 20 Kindern, sagt Schneider, ist, wenn die Behörden eine Genehmigung erteilen, für 2019 fest geplant.